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Tagungsthema

Die Betriebswirtschaftslehre und ihre Nachbardisziplinen

Identität – Integration – Interdisziplinarität


Auch wenn die akademische Arbeitsteilung eine Trennung zwischen Fachdisziplinen mit sich bringt, ist die Betriebswirtschaftslehre durch ihre Problemorientierung in besonderem Maße mit anderen Fachdisziplinen durch ein feinmaschiges Netz verbunden: Natürliche und rechtliche Rahmenbedingungen, die Gegenstand anderer Disziplinen (Physik, Chemie, Ingenieurwissenschaften, Rechtswissenschaft, Informatik etc.) sind, beeinflussen das Geschehen in Unternehmen maßgeblich. Weiterhin verwendet die Betriebswirtschaftslehre zur Entwicklung von Problemlösungen Erkenntnisse anderer Fachdisziplinen in nicht geringem Maße und ist auf Fortschritte in diesen Disziplinen angewiesen. Umgekehrt fördern auch betriebswirtschaftliche Erkenntnisse den Fortschritt anderer Disziplinen, und betriebswirtschaftliche Gestaltungsempfehlungen entfalten Wirkungen auf das wirtschaftliche Verhalten von Akteuren und auf die Gestaltung und die Eigenschaften von Organisationen. Damit beeinflusst die Betriebswirtschaftslehre ihrerseits direkt oder indirekt den Forschungsgegenstand anderer Disziplinen (Volkswirtschaftslehre, Rechtswissenschaft, Psychologie, Soziologie etc.). Beispiele für Disziplinen, die mit der Betriebswirtschaftslehre wenig oder keine Berührungspunkte haben, sind daher auch schwer zu finden.

 

Über die Identität der Betriebswirtschaftslehre besteht heute so wenig Einigkeit wie noch nie: Jahrzehntelang anerkannte Leitbilder, verbunden etwa mit den Namen Gutenberg, Kosiol oder Heinen, „lösen sich auf oder genauer: verlieren ihre Orientierungskraft. Die lange Zeit unproblematische Bereitschaft, sich einem dieser traditionellen Forschungsprogramme zuzuordnen und auf diese Weise eine Fachgemeinschaft zu bilden, ist rapide gesunken.“ (Schreyögg, G.: Entwicklung der Betriebswirtschaftslehre: zwischen Integration und Zerfall, in: Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft: Zukunftsperspektiven der Betriebswirtschaftslehre, Köln 2007, S. 2) Hinzu kommt eine Zersplitterung in immer stärker verselbständigte und abgegrenzte Teildisziplinen wie Finanzierung, Organisation oder Marketing. Gerade vor diesem Hintergrund gilt aber: „Wer interdisziplinär forschen will, muss als Ausgangspunkt erst einmal eine Disziplin haben.“ (Schneider, D.: Controlling als postmodernes Potpourri, in: Controlling 2005, S. 69) Die Weiterentwicklung der eigenen Identität ist nicht nur mit Selbstbeschäftigung möglich, sie erfordert den Blick „nach außen“ auf benachbarte Disziplinen ebenso wie den Blick „von außen nach innen“, also von Vertretern dieser benachbarten Disziplinen auf unser Fach und die Schnittstellen zu ihrem eigenen Fach.

 

Die Betriebswirtschaftslehre besitzt eine lange Tradition des Austauschs mit Nachbardisziplinen, die bei dieser Tagung aufgenommen und fortgeführt werden soll. Dabei stehen Fragen im Zentrum wie: Welchen Erkenntnisbeitrag können andere Disziplinen für aktuelle betriebswirtschaftliche Fragestellungen liefern? Was kann die Betriebswirtschaftslehre ihrerseits für Forschungs- und Anwendungsprobleme der Nachbardisziplinen leisten? Welche Konsequenzen hat eine – weitere – Öffnung der Betriebswirtschaftslehre zu ihren Nachbardisziplinen? Was wären die Implikationen von disziplinärer Exklusion und Abschottung? In den eingeladenen Vorträgen werden von „innen“ oder „außen“ beispielsweise das Verhältnis von Betriebswirtschaftslehre und Psychologie, Mikroökonomie, Ingenieurwissenschaften, Kognitionsforschung, Rechtswissenschaft und Finanzwissenschaft erörtert werden. Dabei zwingt die für den Geschlossenen Tagungsteil zur Verfügung stehende Zeit zu einer Begrenzung, obwohl Vertreter solcher Nachbarwissenschaften wie z.B. der Informatik, der Physik oder der Philosophie sicher auch höchst interessante Beiträge hätten liefern können. Hinter all dem steht letztlich die Frage: Was ist Betriebswirtschaftslehre heute, und was wird bzw. sollte Betriebswirtschaftslehre morgen sein? Wir sind uns sicher, dass auch Sie an dieser Frage interessiert sind, und wünschen Ihnen und uns, ihrer Beantwortung mit unserer Tagung ein wenig näher zu kommen.